Die Tabakindustrie kümmert sich um die Politik

am 31. Januar 2007

In einer Abhandlung und nachfolgender  Pressemeldung werden Einflussnahmen der Tabakindustrie auf Politiker aufgezeigt,

Zeitungsartikel Neues Deutschland

 

 

  1. Januar 2007

von Johannes Spatz

Die Tabakindustrie kümmert sich um die Politik

Die Lobbyisten der Tabakindustrie überschlagen sich zur Zeit. Ihr Ziel ist es, ein totales Rauchverbot in der Gastronomie zu verhindern. Auf Bundes- und Länderebene wird in den nächsten Monaten entschieden werden, ob es zu einem absoluten Rauchverbot oder nur zu einer Regelung mit vielen Ausnahmen kommen soll. Das ist das Feld der Tabaklobby. Nur selten hat die Öffentlichkeit erleben können, wie das Spiel läuft. Im Sommer des vergangenen Jahres kam heraus, wie kurz der Abstand zwischen Lobby und Politik ist, als ein Vorschlagspapier des Verbandes der Zigarettenindustrie zum Nichtraucherschutz, das an Mitglieder des Bundestages geschickt worden war, nahezu unverändert als Verhandlungsvorlage auf dem Tisch der Regierungskoalition landete. Bärbel Höhn von den Grünen im Bundestag schimpfte, dass sie das noch nie gehört habe. Sie spricht von den Koalitionspolitikern als Marionetten der Tabakindustrie.

Dass es aber zum Alltag der Lobbyisten der Rauchbarone gehört, sich mit der Politik anzufreunden, ihnen Memos und Redemanuskripte zuzuschieben und die Fäden bis in das Kanzleramt zu ziehen, konnte bisher nur vermutet werden. Doch Auskunft darüber geben die Tabakindustriepapiere, die im Internet zu finden sind. In den USA haben Richter, die Tabakfirmen wegen dem Verschweigen von Gesundheitsgefahren in Folge des Rauchens verurteilt, ihre Geschäftspapiere im Internet zu veröffentlichen. Unter den über 40 Millionen Papiere sind auch viele Berichte aus der Bundesrepublik, die an die Konzernzentralen in den USA gesandt wurden.

Durch das Studium dieser Papiere können wir belegen, wie das Verhältnis zwischen Tabaklobby und Politik funktioniert. Die Papiere lassen vermuten, mit welchen Methoden die Tabakindustrie auch im Augenblick versucht, ihre Interessen wahrzunehmen.

Im Jahr 2000 beschäftigte sich die Tabakindustrie besonders mit der so genannten Tabakproduktrichtlinie des Europäischen Parlaments, die im Jahr 2003 in Deutschland umgesetzt wurde und u. a. großflächige Warnhinweise auf Zigarettenpackungen und Obergrenzen für Konzentrationen von Teer, Kohlenmonoxyd und Nikotin vorschreibt. Der Tabakindustrie war insbesondere die Obergrenze ein Dorn im Auge. Denn die großen Konzerne in Deutschland produzieren einen großen Teil der Zigaretten für den Export in Drittländer. Nach Wunsch der Industrie sollten diese Länder weiterhin Zigaretten mit höheren Konzentrationen von Teer erhalten. Das Verbot der Produktion von Zigaretten mit hohen Konzentrationen an Teer wurde als Exportverbot von der Tabakindustrie kritisiert. So beschwerte man sich, dass Produktionsstätten in das Ausland verlagert werden müssten und daher alleine bei der Firma Reemtsma ganze Standorte gefährdet seien.[1]

Nun versuchten die Lobbyisten, Parlamentarier zu beeinflussen, um diese so genannte Exportklausel zu verhindern. Strategisches Zentrum der Abstimmungen war der Verband der Zigarettenindustrie (VdC). Von dort aus hatte man zunächst erfolgreich Udo Mientus kontaktiert.[2] [3] Er war Mitglied des Landtags von Niedersachsen für die SPD und außerdem saß er im Ausschuss der Regionen des Europäischen Parlaments. Dort brachte er im April 2000 den Antrag ein, die Exportklausel zu streichen, jedoch ohne Erfolg. Später im Verlauf des Jahres berichtete Reinhard Pauling, Geschäftsführer des VdC, einem Kollegen in einem Brief über seine Aktivitäten. Er nannte Udo Mientus einen Freund, der auf einer Sitzung aller sozialistischen Abgeordneten des Europaparlaments und des Ausschusses der Regionen zur Tabakproduktrichtlinie sprechen werde. Pauling weiter im Originalton: „Manuskript bekommt er von mir.“[4]

Pauling berichtet im Juni 2000, er habe mit dem Büroleiter von dem damaligen Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier gesprochen. Man sei im Kanzleramt „wegen der Abstimmung im Europäischen Parlament sehr besorgt, insbesondere wegen der Exportklausel. Da bereits übermorgen im Ausschuss der ständigen Vertreter eine Vorentscheidung hinsichtlich der Position der Mitgliedstaaten fallen wird, ist für heute auf unseren Wunsch hin eine Staatssekretärs-Runde einberufen worden. Diese soll heute Abend die Position der Bundesregierung im Gesundheitsministerrat festlegen.“[5] Wenige Tage später meldet Pauling, er sei von dem Büroleiter von Dr. Steinmeier telefonisch unterrichtet worden, dass die Bundesregierung die Richtlinie wegen rechtlicher Bedenken ablehnt.[6]

Als das Projekt, die „Exportklausel“ streichen zu lassen, nicht vorankam, änderte der VdC seine Strategie. Es sollte gegen die EU-Tabakproduktrichtlinie geklagt werden. Doch als sie bemerkten, dass das Bundesgesundheitsministerium nur eine geringe Neigung zeigte, eine Klage gegen die Richtlinie vor dem Europäischen Gerichtshof zu befürworten, wurde ein generalstabsmäßiger Plan entwickelt, um einer Klage doch noch Erfolgsaussichten zu verleihen. So wurde u. a. geplant: „Es müssen Unterstützer gesucht werden, insbesondere bei Spitzenverbänden und Gewerkschaften.“ „Verbündete und betroffene Bundesländer müssen auf alle beteiligten Ressorts der Bundesregierung, vor allem aber auf Kanzleramt und Finanzministerium zugehen.“ [7]

Im September spricht Pauling mit Europa-Minister Wolfgang Senff aus Niedersachsen, den er „seit Jahren gut persönlich“ kennt. Pauling trägt dem Minister vor, dass „nur eine Klage der Bundesregierung Aussicht auf Erfolg hat“. „Ich habe mit ihm mehrere Möglichkeiten des Vorgehens seitens der niedersächsischen Landesregierung diskutiert und er will jetzt folgendes tun. Er wird mit seinem Ministerpräsidenten Gabriel sprechen. Seine Empfehlung geht dahin, zum einen seitens des MP (Ministerpräsidenten) unseren Bundeskanzler, genauer dessen Staatssekretär Dr. Steinmeier, der schon zur Zeit, als Schröder noch MP in Niedersachsen war, dessen Staatssekretär und engster Vertrauter war, anzusprechen und für eine Klage einzutreten. Senff ist dafür, dass Niedersachsen für den Bund die Klage vor dem EUGH durchführt, dazu braucht er aber das Ja seines Ministerpräsidenten. Wir haben eine Reihe von Begleitmaßnahmen besprochen, u. a. Briefe des  Betriebsrates von Ree (Reemtsma) an den Wirtschaftsminister Fischer, der ganz praktisch seinen Wahlkreis in Langenhagen (Standort für Zigarettenproduktion von Reemtsma) hat. Donnerstags treffe ich mich mit dem neuen Gesamtbetriebsratsvorsitzenden und Herrn Lukowski bei Ree. Dort werden wir die Details besprechen. Ich werde auf Wunsch von W. Senff diesem ein Memo schreiben.“[8]

Im Oktober berichtet ein anderer leitender Mitarbeiter des VdC, er habe im Auswärtigen Amt mit Staatssekretär Dr. Pleuger gesprochen und kommt zu dem Schluss, dass dieser „einer Klage der Bundesregierung in dieser Frage positiv gegenübersteht“. Weiterhin berichtet er über ein Gespräch mit Herrn Samland, Minister in NRW für Bundesrats- und Europaangelegenheiten. Er bat ihn „um wohlwollende Unterstützung einer Klage“. „Ich hatte den Eindruck, dass er mit dem von uns vorgeschlagenen Weg keine Probleme hat.“[9]

Wie die Geschichte im Einzelnen weiterging, können wir leider nicht erfahren, da die Internetpapiere nur bis 2000 Auskunft geben. Wir wissen jedoch, dass eine Klage der Tabakindustrie mit Sitz in England vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht wurde. Der EuGH wies die Klage ab. Später noch wurde in den Medien gemeldet, dass die Bundesregierung auch klagen wollte, aber die Klage um 24 Stunden zu spät eingereicht hatte.

Reinhard Pauling vom VdC hat 2006 seinen Ruhestand angetreten. Ihm folgte im VdC Sven Zetzsche, Politologe, der zwischen 1999 und 2004 Büros von Bundestagsabgeordneten geleitet hatte und jetzt für politische Kommunikation des Verbandes zuständig ist. Sicherlich ein gut vorbereiteter Nachfolger.

[1] http://tobaccodocuments.org/batco/325127703-7704.htm

[2] http://www.tobaccodocuments.org/batco/325129299-9301.html

[3] http://bat.library.ucsf.edu/data/s/s/i/ssi61a99/ssi61a99.pdf

[4] http://tobaccodocuments.org/batco/325127593-7594.html

[5] http://tobaccodocuments.org/batco/325130087-0088.html

[6] http://tobaccodocuments.org/batco/325130072.html

[7] http://tobaccodocuments.org/batco/325127724-7726.html

[8] http://tobaccodocuments.org/batco/325127593-7594.html

[9] http://tobaccodocuments.org/batco/325128731-8734.html

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