Am 2. März nahm das Forum Rauchfrei an einer Konferenz zum Thema „Kampf gegen die Taktiken der Tabakindustrie“ in Brüssel teil. Im Fokus der Konferenz stand die Umsetzung des Artikels 5.3 des Tabakrahmenübereinkommens der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf europäischer und nationalstaatlicher Ebene. Die Konferenz im Gebäude des Europaparlaments wurde von der europäischen Tabakkontrollorganisation Smoke Free Partnership organisiert.
Sowohl die EU als auch ihre einzelnen Mitgliedsstaaten sind Vertragspartner des Tabakrahmenübereinkommens der WHO. Dies bedeutet, dass sowohl die EU als auch die einzelnen Länder sich verpflichtet haben, sich vor der Einflussnahme der Tabakindustrie zu schützen. Geregelt wird dies in Artikel 5.3 des Tabakrahmenübereinkommens. In Deutschland wurde hierzu bereits 2004 das Gesetz zu dem Tabakrahmenübereinkommen verabschiedet. 2009 veröffentlichte die WHO Leitlinien zur Umsetzung von Artikel 5.3. dieses Gesetzes.
Allerdings trifft weder die EU noch der größte Teil der Mitgliedsstaaten, so auch Deutschland, Vorkehrungen, um sich vor der Einflussnahme der Industrie zu schützen. Deutlich wurde dies vor allem am Beispiel der EU-Kommission, die keinerlei Informationen über ihre Treffen mit Industrievertretern veröffentlichte. Hierfür erntete die Kommission harte Kritik von der EU-Ombudsfrau Emily O’Reilley, die mit auf dem Podium saß. Anwesend waren auch die EU-Abgeordneten Karl-Heinz Florenz aus Deutschland und Gilles Pargneaux aus Frankreich, der ehemalige EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg und der jetzige EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis, sowie Dr. Katharina Kummer-Peiry als Vertreterin der WHO.
Alle Anwesenden waren sich einig, dass weitreichende Maßnahmen notwendig sind, um die Einflussnahme der Tabakindustrie „zu enthüllen und zu neutralisieren“. Dies bedeutet, dass Kontakte zur Tabakindustrie auf ein zur Kontrolle der Industrie nötiges Mindestmaß zu beschränken sind und transparent ablaufen müssen. Alle Kontakte sollten im Rahmen öffentlicher Anhörungen stattfinden, die Aufzeichnungen über solche Kontakte sollten öffentlich zugänglich sein. Die Tabakindustrie sei keine normale Industrie und dürfe nicht als solche behandelt werden.
Auch betroffen von Artikel 5.3 des Tabakrahmenübereinkommens sind die Abkommen, welche die EU mit den großen Zigarettenproduzenten abgeschlossen hat, um den Zigarettenschmuggel zu bekämpfen. Das erste Abkommen dieser Art, das 2004 mit der Firma Philip Morris geschlossen wurde, läuft im Juli dieses Jahrs aus. Zurzeit wird über eine Verlängerung diskutiert. Auch hier herrschte Einigkeit auf dem Podium; das Abkommen sollte auf keinen Fall verlängert werden, da es in krassem Widerspruch zu dem Tabakrahmenübereinkommen steht. Eine Verlängerung dieses Antischmuggelabkommens, in das Philip Morris einwilligte, um einen Rechtsstreit mit der EU beizulegen, würde dem Tabakkonzern weiterhin enorme Einflussmöglichkeiten auf die Politik eröffnen.
Das Forum Rauchfrei begrüßt die Tatsache ausdrücklich, dass dem wichtigen Thema der Einflussnahme der Tabakindustrie auf die Politik die notwendige Aufmerksamkeit zu Teil wird. Seit den ersten konkreten Plänen für eine neue Tabakproduktrichtlinie im Jahr 2010 registrierte das Forum über 60 Besuche von Industrievertretern in Bundesministerien. Zudem gab es zahllose Treffen zwischen Politikern und Vertretern der Tabakindustrie außerhalb der Ministerien, etwa bei Parlamentarischen Abenden oder bei Werksbesuchen.
Das Forum Rauchfrei hat nach dem Informationsfreiheitsgesetz Einsicht in die Gesprächsunterlagen der Ministerien genommen. Mehrheitlich gab es in den Unterlagen keine Berichte über Verlauf und Ergebnis der Gespräche, bzw. keine Protokolle. Die zwei Vertreter des Forum Rauchfrei informierten die anderen Konferenzteilnehmer über die Lage in Deutschland.
Auffällig im Parlamentsgebäude war das umfangreiche Angebot an Zigaretten für Abgeordnete und Besucher.
Am folgenden Tag fand, ebenfalls organisiert von Smoke Free Partnership, ein Workshop statt, bei dem verglichen wurde, wie weit die Umsetzung der Forderung nach Schutz der Regierungen vor der Einflussnahme der Tabakindustrie in den jeweiligen Ländern fortgeschritten ist.
Das Ergebnis war enttäuschend. Die wenigsten EU-Länder haben spezielle Vorkehrungen getroffen, um sich vor der Einflussnahme der Tabakindustrie zu schützen. Positive Beispiele gab es aus Großbritannien, das feste Regeln für den Umgang von Diplomaten mit Vertretern der Tabakindustrie aufgestellt hat, und aus Irland, wo Regierungsvertreter sich erfolgreich weigerten, sich mit Vertretern der Tabakindustrie zu treffen, obwohl diese ein Treffen einklagen wollten.