Am 27. Juli 2016 fand ein Gespräch zwischen dem Chef des Bundeskanzleramtes, Peter Altmaier, und Vertretern der Firma Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH statt. Dies geht aus einem Antrag auf Akteneinsicht hervor, den das Forum Rauchfrei am 22. August 2016 beim Bundeskanzleramt gestellt hatte. Wir stellen diese Akten hier auf unserer Internetseite ein, um an diesem Beispiel zu zeigen, wie intransparent der Umgang zwischen Regierungsvertretern und Vertreter der Tabakindustrie ist. Ein Link zu den Akten befindet sich am Ende des Textes.
Sehr viel an Informationen lässt sich den zwölf Seiten, aus denen die Akte zu diesem Gespräch besteht, kaum entnehmen. Als Gesprächsthemen wurden von Reemtsma das Änderungsgesetz zum Tabakerzeugnisgesetz, die Änderungsverordnung zur Tabakerzeugnisverordnung und – falls zeitlich möglich – das Thema Tabaksteuer vorgeschlagen.
Worüber letztlich gesprochen wurde, lässt sich nicht belegen. Auch wer bei dem Gespräch anwesend war, geht aus den Akten nicht hervor. Wie bei allen Gesprächen, die im Kanzleramt mit der Tabakindustrie geführt wurden, und zu denen das Forum Rauchfrei Akteneinsicht nehmen konnte, liegt kein Protokoll vor. Das Fehlen der Protokolle offenbart bereits, wie wenig ernst die Bundesregierung das Gesetz zu dem Tabakrahmenübereinkommen nimmt, das der Bundestag 2004 beschlossen hat. Darin verpflichtet sich Deutschland, sich vor der Einflussnahme der Tabakindustrie zu schützen. Ein Mittel, um diesen Schutz zu gewährleisten, ist laut der zu dem Gesetz gehörenden Leitlinien Transparenz im Umgang mit der Tabakindustrie. Gespräche sollten, wenn überhaupt, öffentlich geführt oder die Gesprächsinhalte öffentlich zugänglich gemacht werden. Was das Bundeskanzleramt tut, ist das genaue Gegenteil hiervon. Dies geht soweit, dass Teile der Akten geschwärzt wurden, um Transparenz zu verhindern. Andere Teile der Akte wurden gar nicht erst herausgegeben.
Eine weitere Pflicht aus dem Gesetz zu dem Tabakrahmenübereinkommen, der die Bundesregierung nicht nachkommt, ist die Einführung eines umfassenden Verbots aller Formen der Tabakwerbung. Ein solches Verbot müsste laut Gesetz bereits seit 2010 existieren. Ein Blick auf Deutschlands Straßen zeigt, wie weit wir davon entfernt sind. Als letztes Land der EU erlaubt Deutschland, dass auf Großplakaten und Litfaßsäulen für Tabakprodukte geworben werden darf.Dass dieser Zustand nun endlich nach den Plänen von Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt, dessen Ministerium für die Regulierung von Tabakprodukten, also auch für Tabakwerbung, zuständig ist, geändert werden soll, entfacht natürlich den Widerstand der Tabakindustrie. Da Schmidt das Außenwerbeverbot für Tabakprodukte hartnäckig verteidigt – laut einem Bericht des Spiegel weigert er sich inzwischen, Vertreter des Deutschen Zigarettenverbandes zu empfangen – spricht die Industrie lieber beim Bundeskanzleramt vor, um das geplante Werbeverbot zu kippen. Und präsentiert dem Chef des Kanzleramts, wie sich aus den Akten entnehmen lässt, eine ziemliche Peinlichkeit: laut Deutschem Zigarettenverband hat die Bundesrepublik gegenüber der Weltgesundheitsorganisation stets behauptet, das im Gesetz zu dem Tabakrahmenübereinkommen geforderte umfassende Verbot aller Formen der Tabakwerbung sei längst umgesetzt.
Die Interpretation des Begriffs „umfassendes Werbeverbot“ durch den DZV erlaubt es offensichtlich, das Land mit Tabakwerbeplakaten vollzukleben, Werbefilme in Kinos zu zeigen, Verkaufsstellen mit Bildschirmen und Wechselgeldtellern auszustatten, auf denen Werbefilme laufen, Logos von Zigarettenmarken auf Sessel, Decken, Markisen, Salzstreuer, Aschenbecher und sonstige Dinge drucken zu lassen, Gratisproben zu verteilen oder Musik- und Kunstevents zu sponsern.Jeder vernünftige Mensch erkennt, dass Deutschland kein umfassendes Tabakwerbeverbot hat. Zu behaupten, es gäbe eines, nur weil dies in einem Bericht an die Weltgesundheitsorganisation so dargestellt wurde, ist geradezu kindisch.
Was sich den Akten auch, wenn auch nur am Rande, entnehmen lässt, ist, wie sehr das Kanzleramt sich um das wirtschaftliche Wohlergehen der Tabakindustrie sorgt. Ob der Zeitrahmen, der für das Gespräch vorgesehen war, es erlaubte, das Thema Tabaksteuer abzuhandeln, ist nicht bekannt, wie gesagt existiert im Kanzleramt ja kein Protokoll. Da die Firma Reemtsma das Thema aber auf jeden Fall ansprechen wollte, bereitete man sich im Kanzleramt auch darauf vor. Die Tabakindustrie befürchtet offensichtlich eine massive Tabaksteuererhöhung in der nächsten Legislaturperiode und war aus diesem Grund auch schon im Bundesfinanzministerium vorstellig. Der Chef des Bundeskanzleramtes konnte die Industrievertreter in dieser Hinsicht allerdings beruhigen. Auf dem Gesprächsführungsvorschlag heißt es: „Steuererhöhungen wird es mit uns nicht geben“.
Was der Chef des Bundeskanzleramtes den Vertretern der Firma Reemtsma sonst noch versprochen hat, bleibt im Dunkeln. Schon aus dem Grund, dass Regierungsvertreter sich nicht vorwerfen lassen müssen, sie steckten mit der Tabakindustrie unter einer Decke, sollte bei solchen Gesprächen die Führung eines Protokolls Pflicht sein. Das Forum Rauchfrei fordert von der Bundesregierung die sofortige Einführung von Verhaltensregeln für Vertreter der Bundesregierung für den Umgang mit der Tabakindustrie. Diese Forderung findet sich auch in den oben bereits erwähnten Leitlinien zur Umsetzung des Gesetzes zu dem Tabakrahmenübereinkommen. Dort heißt es: „Die Vertragsparteien sollten einen Verhaltenskodex für Beamte formulieren, verabschieden und umsetzen, der die Standards für den Umgang mit der Tabakindustrie vorgibt“ (Punkt 4.2 der Leitlinien zur Umsetzung von Artikel 5.3 des Gesetzes zu dem Tabakrahmenübereinkommen). Anders ist der laut Gesetz geforderte Schutz vor der Einflussnahme der Tabakindustrie nicht zu gewährleisten. Wie diese Einflussnahme funktioniert, zeigt die Untersuchung „Die Tabakindustrie im Kanzleramt“ (veröffentlicht in der Broschüre Politik im Griff der Tabakindustrie (2012) am Beispiel der ersten Tabakproduktrichtlinie.