Suchwort-Falle im Bundesministerium der Finanzen

am 19. August 2018

Bekannt ist, dass das Bundesministerium der Finanzen besonders offen für die Interessen der Tabakindustrie ist. Den Interessen des Forum Rauchfrei an Information und Transparenz über die Machenschaften der Tabakindustrie zeigt sich das Ministerium nicht ebenso gewogen.

Den Antrag des Forum Rauchfrei vom Oktober 2015 auf Gewährung von Information und Akteneinsicht nach dem Bundesfreiheitsinformationsgesetz (IFG) über die „Interaktionen“, die „seit Januar 2013 zwischen Vertretern der Tabakindustrie bzw. Vertretern von Interessengruppen der Tabakwirtschaft und Mitarbeitern des Bundesministeriums der Finanzen auf Minister-, Leitungs- und Fachebene stattgefunden haben“, konnte das Ministerium angeblich nicht zügig bearbeiten.

Während das IFG vorsieht, dass die Information unverzüglich zu erteilen ist – innerhalb eines Monats (§ 7 Abs. 5 Satz 2 IFG) – brauchte die Behörde jahrelang, weil sie nicht nach „Tabakindustrie“ suchte, sondern nach einem ungeeigneten Begriff forschte.

Die erste Reaktion des Ministeriums kam zwar schon am 10. November 2015, aber bereits damals wurde um Verständnis für eine längere Bearbeitungszeit gebeten: „Dabei bitte ich zu berücksichtigen, dass das Bundesministerium der Finanzen aktuell über mehr als 11 Millionen Akten bzw. Vorgänge verfügt. Diesen Akten werden monatlich durchschnittlich ca. 70.000 neue Dokumente zugeordnet. Diese Akten sind natürlich nicht im Hinblick auf die jetzt gestellte Frage angelegt worden“ teilte der Sachbearbeiter mit.

Das leuchtete ein, besonders die Mitteilung, dass die Akten nicht nach Interaktionen mit der Tabakindustrie angelegt worden waren. Fast auf den Tag genau nach einem Jahr, nachdem einige Kopien von Unterlagen bereits eingetroffen waren, teilte das Ministerium am 14. November 2016 noch einmal das Gleiche mit, nämlich, dass das Bundesministerium der Finanzen über mehr als 11 Millionen Akten bzw. Vorgänge verfüge und dass diesen Akten monatlich durchschnittlich ca. 70.000 neue Dokumente zugeordnet würden. Wieder heißt es dann in dem Schreiben: „Diese Akten wurden natürlich nicht im Hinblick auf die jetzt von Ihnen gestellte Frage nach „Interaktionen“ angelegt. Deshalb müssen alle möglicherweise relevanten Akten manuell („Blatt für Blatt“) gesichtet werden, was leider sehr zeitintensiv ist.“

Wurden alle Seiten der 11 Millionen Akten einzeln umgeblättert?

Hätte das Forum Rauchfrei damals reagieren müssen, sich an das Bundesministerium wenden und darum bitten müssen, dass nicht jede Seite einzeln „manuell“ und wie das Ministerium später auch schrieb „händisch“ umgeblättert werde?

Das Forum Rauchfrei stellte sich diese Fragen nicht und es gingen erneut einige Kopien aus den Akten ein. Schließlich erreichte das Forum Rauchfrei am 10. April 2018 der Kostenbescheid für den Antrag auf Gewährung von Information nach dem Informationsfreiheitsgesetz.

Das Ministerium legte ein weiteres Mal Wert auf die Mitteilung, dass große Teile des zu sichtenden Aktenmaterials „händisch“ „Blatt für Blatt“ geprüft werden mussten. Hierfür war angeblich ein enormer Aufwand erforderlich. Tätig wurden Mitarbeiter des höheren Dienstes, des gehobenen Dienstes und des mittleren Dienstes. Uns wurde mitgeteilt, dass für den Antrag des Forum Rauchfrei in den vielen Jahren seit Antragstellung Mitarbeiter des höheren Dienstes 55 Stunden lang, Mitarbeiter des gehobenen Dienstes sogar 150 Stunden lang und schließlich Mitarbeiter des mittleren Dienstes 97 Stunden lang arbeiten mussten. Dies wurde dann von dem Bundesministerium der Finanzen so berechnet, dass jeweils Stundenlöhne für die Beamten zugrunde gelegt wurden, so dass die zur Bearbeitung unseres Antrages entstandenen Arbeitsstunden der vielen Ministeriumsmitarbeiter zu einem Betrag von 12.960,00 € zusammengerechnet werden.

Gegenüber diesen enorm hohen vom Forum Rauchfrei angeblich veranlassten Kosten könnten die vom Bundesministerium für unseren Antrag festgesetzten Kosten in Höhe von 500,00 geradezu lächerlich gering erscheinen.

Demgegenüber ist es aber der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, dass die Höhe der Gebühren keine abschreckende Wirkung haben darf (§ 10 Abs. 2 IFG). Der Informationszugang soll wirksam in Anspruch genommen werden können.

Deshalb hat das Forum Rauchfrei gegen den Kostenbescheid Widerspruch eingelegt und diesen ausführlich begründet, das Ministerium hat unseren Widerspruch daraufhin mit dem Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 2018 zurückgewiesen.

In dem Widerspruchsbescheid hat sich das Ministerium mit unserem wichtigsten Argument, der ganze Aufwand wäre nicht erforderlich gewesen, wenn keine Drittbeteiligungsverfahren durchgeführt worden wären, nicht einmal auseinandergesetzt. Wir hatten argumentiert, dass schützenswerte Interessen der Tabakindustrie gar nicht vorhanden waren.

Stattdessen deckte die Behörde in dem Widerspruchsbescheid endlich auf, warum die Beantwortung unseres nach dem Freiheitsinformationsgesetz innerhalb eines Monats zu beantwortenden Auskunftsantrags mehrere Jahre lang gedauert hatte und teilte mit:

Es sei „erschwerend“ hinzu gekommen, „dass die einschlägigen Dokumente im elektronischen Dokumentenmanagementsystem des Bundesministeriums der Finanzen regelmäßig nicht nach dem Schlagwort „Interaktion“ veraktet“ seien.

11 Millionen Akten bzw. 70.000 neue Dokumente monatlich wurden aber nicht nach dem Stichwort „Interaktion“ durchsucht? Oder?

Das elektronische Dokumentenmanagementsystem hätte nach Stichworten wie „Tabakwirtschaft“, „Tabakregulierung“ oder nach den Namen der einschlägigen Unternehmen bzw. den Namen der bekannten Lobbyisten durchsucht werden können. Superschnell wären dann die Interaktionen (Interaktion = das wechselseitige aufeinander Einwirken von Akteuren oder Systemen, eng verknüpft mit den übergeordneten Begriffen Kommunikation, Handeln und Arbeit) mit der Tabakindustrie bzw. der Tabakwirtschaft aufgefunden worden. Wenn ein zur Suche geeignetes Suchwort in das elektronische Dokumentenmanagementsystem eingegeben worden wäre, wäre auch ein vernünftiges Ergebnis erzielt worden. Dann hätten nicht manuell bzw. „händisch“ jahrelang riesige Mengen von Akten durchgeblättert werden müssen und unser Antrag hätte innerhalb einer vom Gesetz gesetzten kurzen Bearbeitungsfrist beantwortet werden können.

Deshalb ist die Festsetzung der Kosten in Höhe der Höchstgebühr falsch und da er diese Festsetzung nicht aufhebt, ist auch der Widerspruchsbescheid des Ministeriums der Finanzen unrichtig. Dennoch sehen wir uns nicht in der Lage, dagegen vor dem Verwaltungsgericht Berlin zu klagen. Wir haben dafür weder Kapazitäten noch die nötigen Mittel. Die festgesetzte Gebühr wurde daher heute bezahlt.

Das internationale WHO-Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (FCTC), das auch von der Europäischen Union ratifiziert wurde, verlangt, dass staatliche Stelle wie das Bundesministerium der Finanzen nur dann und nur so weit mit der Tabakindustrie interagieren, wie dies unbedingt erforderlich ist. Ausdrücklich wird verlangt, dass die unvermeidlichen Interaktionen in jedem Fall transparent erfolgen müssen. „Jegliche Interaktionen sollten möglichst öffentlich erfolgen, z. B. durch öffentliche Anhörungen, öffentliche Bekanntmachung der Interaktionen, Offenlegung von Unterlagen über solche Interaktionen“ lautet der Vertragstext des internationalen Abkommens.

Gespräche mit der Tabakindustrie bzw. mit der Tabaklobby dürfen im Bundesministerium der Finanzen gar nicht stattfinden. Falls sie dennoch einmal erforderlich sein sollten, müssen sie öffentlich geführt werden. Über Unterlagen zu derartigen Gesprächen muss vollständig und unbeschränkt Auskunft erteilt werden.

Johannes Spatz vom Forum Rauchfrei schließt sich der Forderung der Gesundheitsexpertin Jennifer Ellis von der US-Stiftung Bloomberg Philanthropies an, die die Wichtigkeit hervorhebt, der Tabakindustrie kein Mitspracherecht zu geben. „Lasst sie nicht an den Verhandlungstisch. Ignoriert das Jammern der Branche.“ (Spiegel Nr. 34/18.8.2018, S. 91) Johannes Spatz: Es ist im Bundesministerium der Finanzen noch nicht angekommen, dass die Tabakindustrie zu ächten ist. Es handelt sich keinesfalls um eine normale Industrie. Wir wollen die Tabakindustrie endlich jammern hören!“

Kostenbescheid vom 10. April 2018

Widerspruchsbegründung des Forum Rauchfrei vom 22. Juni 2018

Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 2018

KarinSuchwort-Falle im Bundesministerium der Finanzen