Wie wichtig ist die Tabakindustrie für den Gesundheitssektor?

am 3. Mai 2019

Mit dieser Frage setzt sich Dr. Wolfgang Schwarz, Mitglied des Forum Rauchfrei, auseinander:

„Bedrohliche Gesundheit:

Für wen oder was soll Gesundheit bedrohlich sein? Jeder Mensch wünscht sich, gesund zu sein. Wenn die Gesundheit mal abhanden kommt, dann sind alsbald fleißige Helfer zur Stelle. Ihre Profession ist es, der Gesundheit zu dienen. Warum sollen sie dann von ihr bedroht werden?

Unser Gesundheitssystem ist topfit. Seine wirtschaftliche Basis sind die Kranken, die mit hohem Aufwand so gut es geht kuriert werden. Das Geschäft läuft aber nur dann gut, wenn genügend neue Aufträge hereinkommen. Noch ist die Auftragslage ausgezeichnet. Das System hat einen zuverlässigen Geschäftspartner: Die Tabakdrogenindustrie sorgt für mehr behandlungsbedürftigen Nachschub als jeder andere Zweig unserer Gesellschaft. Diese Symbiose läuft zu voller Zufriedenheit beider Partner.

Eine typische Win-Win-Situation: Das Gesundheitssystem erwirtschaftet bereits 12 bis 18 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Es ist damit einer der größten Wirtschaftsfaktoren.  Die Tabakdrogenindustrie macht Gewinne wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig. Für den Fiskus fallen davon jährlich etwa 14 Milliarden Euro an Steuern an. Die jährlichen Folgekosten betragen nach neuesten Schätzungen etwa 100 Milliarden Euro. Für die wird jedoch die Allgemeinheit zur Kasse gebeten und nicht etwa der Verursacher oder gar der Fiskus. Der einfache Bürger also gehört nicht zu den Gewinnern. Für ihn erhöhen sich nur die Beiträge und Abgaben, egal, ob er raucht oder nicht.

Was wäre, wenn sich die Gesundheit der Bürger dramatisch verbesserte, wenn also wesentlich weniger Kranke vor der Tür ständen? Dann ständen die Geschäftspartner im vereinten Krankheitssystem vor einem Riesenproblem. Weniger Kranke bedeuten für den Gesundheitssektor weniger Aufträge, weniger Einnahmen und den notwendigen Abbau seiner gewinnträchtigen Kapazitäten. Weniger Kranke gibt es vor allem dann, wenn weniger oder gar nicht mehr geraucht würde. Für den Tabakdrogensektor eine Horrorvision. Bislang sorgt dieser für den beträchtlichsten Teil schwer wiegender chronischer Krankheiten. Er ist damit für den Gesundheitssektor der wichtigste Zulieferer.

Eine rundum verbesserte Gesundheit bedroht also zwei der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren eines profitorientierten Gesellschaftssystems. Möglicherweise finden wir hier den Grund für den Schmusekurs der Regierenden gegenüber der Tabakdrogenindustrie. Gesundheit schmälert die Profite der Unternehmen und damit auch die Steuereinnahmen des Fiskus. Das Karussell von Krankheit verursachen und Krankheit heilen hält die Profitwirtschaft in Schwung, obwohl es alles andere als gesellschaftlichen Wohlstand produziert.

Wahrscheinlich deshalb wird der Tabakdrogengebrauch als die bei weitem höchste vermeidbare Gefährdung von Gesundheit und Leben als beinahe harmlos propagiert. In der öffentlichen Darstellung spielen die etwa 140 000 frühzeitig Verstorbenen jährlich allein in Deutschland infolge des Tabakkonsums so gut wie keine Rolle. Die etwa 2 000 Todesfälle durch illegale Drogen dagegen werden als nationale Katastrophe wirksam angeprangert. Unter den Suchtstoffen wird Alkohol und illegalen Drogen öffentlich der Kampf angesagt. Tabakdrogen werden überhaupt nicht oder nur am Rande erwähnt. Warum eigentlich?

Tabakdrogen wirken im Unterschied zu anderen Suchtstoffen unauffällig. Gelitten und gestorben wird im Verborgenen, oft erst nach Jahren oder Jahrzehnten. Das von ihnen produzierte Klientel behandlungsbedürftiger Patienten und die überaus zahlreichen frühzeitigen Todesfälle unter ihnen werden dann nicht mehr mit dem Tabakdrogengebrauch in Zusammenhang gesehen. Der Feind bleibt unsichtbar und kann unbehelligt sein Zerstörungswerk fortsetzen. Die Politik sieht keinen Anlass, tätig zu werden.

Wir aber schon. Schließlich geht es um die gesunde Zukunft künftiger Generationen. Durch den Kontakt mit Tabakdrogengiften werden nahezu alle Kinder in ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit mehr oder minder geschädigt. Es geht aber auch um die Zukunft unseres Planeten. Seine Gesundheit ist durch menschliches Verhalten bereits seit langem bedrohlich angegriffen. Eine erhebliche Rolle spielt dabei der Tabakdrogensektor. Durch Entwaldung, Pestizide, Feinstaub, Mikroplastik und Gifteintrag in Boden und Gewässern hat er die Natur bereits ruiniert, wie Experten betonen.

Die nicht hinnehmbaren Gefahren für Mensch und Umwelt erfordern ein unverzügliches entschlossenes Handeln der Verantwortlichen ohne Rücksicht auf schäbige Profitinteressen. Gesundheit ist keine Bedrohung, sondern ein unveräußerliches Menschenrecht. Ihr Schutz sowie der Schutz unserer Umwelt sind im Interesse unserer Zukunft und der unserer Kinder ein absolutes Gebot. Ein sofortiges Verbot des Anbaus, der Verarbeitung, Vermarktung und des Gebrauchs von Tabakdrogen ist dabei eine unverzichtbare Forderung an die Politik, um weitere gravierende Folgen zu vermeiden.

Die Sorge um ihre Zukunft treibt die heranwachsende Generation bereits zu wirksamen Maßnahmen. Initiiert durch die schwedische Schülerin Greta Thunberg protestieren weltweit tausende Schüler und Studenten entschieden gegen die sinnlose Zerstörung der Welt, in der wir alle leben. „Jetzt und nicht übermorgen müsst ihr handeln! Ihr sollt nicht nur unser Engagement gutheißen, sondern selbst politisch wirksam werden!“ Wenn das System nicht die Situation verändern kann oder will, dann muss eben das System verändert werden, setzen die Demonstranten nach.

Unseren jugendlichen Aktivisten muss aber noch gesagt werden: Ohne eine wirksame Ächtung der Tabakdrogen ist ein wirksamer Umweltschutz nicht möglich. Außerdem würdet ihr euch ohne sie eine gesunde Zukunft verbauen. Schließt das in euren Protest ein!

Dr. Wolfgang Schwarz                                                             18.03.2019

Quellen:

Für das Gesundheitssystem ist Gesundheit bedrohlich

Interview mit dem Journalisten Sven Böttcher

www.nachdenkseiten.de

14.03.2019

Ruinierte Natur

Entwaldung, Pestizide und Nikotin

Sonja von Eichborn (Hrsg.)

November 2018

Unfairtobacco“

 

KarinWie wichtig ist die Tabakindustrie für den Gesundheitssektor?