Milliarden Zigarettenkippen verschandeln die Hauptstadt Berlin (BILD)
am 26. August 2019
Berlin wird zur Kippen-Kippe – helfen hohe Bußgelder?
213 Zigarettenstummel verstopfen diese Baumscheiben-Abdeckung am Bahnhof Alexanderplatz
Foto: Ralf Lutter
Von: JOHANNES MALINOWSKI
Berlin – Ein halber Quadratmeter Ekel. 213 Zigarettenstummel verstopfen eine Baumscheiben-Abdeckung am Bahnhof Alexanderplatz. Ausgepafft, weggeschnipst. Mir doch egal!
Berlin verkommt immer mehr zur Kippen-Kippe. Doch der Raucher-Müll verschandelt nicht nur die Stadt, sondern schadet auch der Umwelt.
„Die Problematik weggeworfener Zigarettenkippen hat zugenommen, seit das Rauchen aus öffentlichen Gebäuden verbannt wurde“, sagt Sabine Thümler, Sprecherin der Berliner Stadtreinigung (BSR).
An der East Side Gallery liegen viele Kippen im Grünen
Foto: Sven Meissner
Laut Deutschem Krebsforschungszentrum rauchen 35 Prozent aller Berliner – so viele wie in keinem anderen Bundesland. Und oft landen die Stummel eben nicht im Aschenbecher, sondern auf dem Boden.
Forscher der Freien Universität Berlin (FU) fanden heraus, dass auf einen Quadratmeter Hauptstadt 2,7 weggeworfene Kippen kommen. Rein rechnerisch heißt das: 2,4 Milliarden (!) Zigarettenfilter im gesamten Stadtgebiet.
Doch wie ist das Problem in den Griff zu bekommen?
► Der Senat brachte am Dienstag einen neuen Bußgeldkatalog auf den Weg. Für eine weggeworfene Kippe sollen ab kommendem Jahr 120 Euro Strafe fällig werden. Der Opposition im Abgeordnetenhaus reicht das nicht. Florian Kluckert (44), gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, fordert den Senat jetzt auf, ein Konzept gegen weggeworfene Zigarettenstummel zu entwickeln. Kluckert: „Eine verantwortungsvolle Politik würde endlich flächendeckend Aschenbecher in der Hauptstadt aufstellen.“ Und: Die Politik müsse auch aufklären, „welche gesundheitlichen Folgen weggeworfene Zigaretten haben, wenn Grundwasser verseucht und die Umwelt damit belastet wird“.
Kluckert (FDP): „Eine verantwortungsvolle Politik würde endlich flächendeckend Aschenbecher aufstellen.“
Foto: Sven Meissner
Die FDP will mit einem Abstimmungs-Aschenbecher auf ihre Forderung aufmerksam machen. Donnerstag befestigte Kluckert den Kasten am U-Bahnhof Warschauer Straße in Friedrichshain. Darauf steht die Frage „Soll der Berliner Senat mehr Aschenbecher aufstellen?“ Mit Zigarettenkippen können die Raucher für Ja oder Nein stimmen.
► Laut BSR stehen berlinweit bereits 24 000 Papierkörbe mit integriertem Aschenbecher. Trotzdem landen die Kippen auf der Straße. Sprecherin Thümler: „Bei dem Mosaikpflaster auf Berlins Gehwegen ist es schwer, jede Kippe mit dem Besen herauszufegen.“
► Für Stephan von Orlow (49) von der Initiative „Die Aufheber“ geht die Forderung nach mehr Aschenbechern nicht weit genug. Er fordert ein Pfandsystem für Zigarettenfilter. „Die Tabakindustrie setzt deutschlandweit jährlich über 20 Milliarden Euro um, die Raucher wissen genau, dass 14 Milliarden davon Steuern sind“, sagt er. „Viele schmeißen ihre Kippen weg, weil sie denken, dass sie ja eh Steuern zahlen.“
Von Orlow will, dass – ähnlich wie bei Dosen – für jede Zigarette 20 Cent Pfand bezahlt werden muss. Nach Rückgabe der Filter wird das Geld zurückerstattet.
► Johannes Spatz (76) vom „Forum Rauchfrei“ fordert tiefgreifendere Maßnahmen. „Der Senat muss das Rauchen an Bushaltestellen verbieten“, sagt er. Und er will, dass Tabakwaren in Läden hinter Vorhängen oder Schiebetüren versteckt werden. Spatz: „Die Auslagen von Tabakprodukten in Kiosken ist nichts anderes als Werbung für die Hersteller. Jugendliche kaufen Süßigkeiten, sehen Zigaretten und werden zum Rauchen verführt.“
Darum sind Zigaretten so schädlich für die Umwelt
Dass Zigaretten für Raucher und ihre Mitmenschen ungesund sind, ist bekannt. Doch weggeworfene Kippen haben auch einen direkten Einfluss auf die Umwelt.
„Für die Zigarettenfilter wird Celluloseacetat, also Kunststoff verwendet, das für die Natur schwer abbaubar ist“, sagt Bernhard Bauske (61), Projektkoordinator Meeresmüll bei der Naturschutzorganisation WWF Deutschland. „Es dauert etliche Jahre, bis ein Zigarettenfilter abgebaut ist.“ Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden jährlich weltweit rund 5,6 Billionen Zigaretten geraucht. „Zwei Drittel werden davon auf den Boden geschmissen, das entspricht zwischen 340.000 und 680.000 Tonnen Müll“, sagt der WWF-Experte.
Gefahr für Kinder und Vögel
► Das Problem: In den Stummeln befinden sich, neben Nikotin, unter anderem die Giftstoffe Arsen, Blei, Chrom, Kupfer, Cadmium, Formaldehyd und Benzol. Werden die Stoffe durch Wasser freigespült, landen sie in unseren Gewässern. Laut Forschern der Universität San Diego tötet eine einzige Zigarette, aufgelöst in einem Liter Wasser, Fische nach vier Tagen.
„Auch Kinder und Vögel, die mit Zigarettenstummeln in Kontakt kommen und sie herunterschlucken, können daran erkranken“, sagt Bauske.