Eine Mehrheit der Deutschen will jegliche Werbung für E-Zigaretten und andere Nikotinprodukte verbieten – auch die Konsumenten. Gerät die Bundesregierung nun unter Druck, sich doch noch gegen die Industrie durchzusetzen?
57 Prozent der Bundesbürger unterstützen ein vollständiges Werbeverbot für elektrische Zigaretten und Tabakerhitzer – das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage der Universität Düsseldorf, die dem SPIEGEL vorliegt. Nur 11 Prozent wollen demnach, dass die Produkte weiter beworben werden dürfen.
Sogar unter den E-Zigaretten-Konsumenten gibt es eine relative Mehrheit für den Werbebann: 43 Prozent aller Dampfer sprechen sich dafür aus, 22 Prozent dagegen; die übrigen zeigen sich unentschlossen. Auch bei den Tabakrauchern überwiegen die Befürworter des Verbots (46 Prozent pro, 14 Prozent kontra). Die Umfrage ist Teil der Debra-Studie, einer der umfassendsten Untersuchungen zum Thema Rauchen und Dampfen in Deutschland.
„In der Werbung wird propagiert, dass es normal ist, E-Zigaretten zu konsumieren“, sagt Studienleiter Daniel Kotz, Professor für Suchtforschung am Institut für Allgemeinmedizin der Uni Düsseldorf. „Aber selbst viele Dampfer und Raucher erkennen: Wir dürfen keine neue Generation von Nikotinsüchtigen heranzüchten.“ Politiker müssten sich daher nicht sorgen, dass sie ihre Wähler mit einem Werbeverbot vergrätzen könnten. Geht es nur um Werbung für herkömmliche Zigaretten, ist der Anteil der Verbotsbefürworter laut Umfragen noch höher.
Deutschland: laxeste Werbegesetze der EU
Das Ergebnis der Studie setzt vor allem Unionspolitiker unter Druck. Deutschland hat die laxesten Tabakwerbe-Gesetze der EU – weil die CDU-/CSU-Bundestagsfraktion seit Jahren ein umfassendes Werbeverbot für Tabak- und Nikotinprodukte verhindert. So ist Deutschland das einzige Land in der EU, das den Tabakmultis noch erlaubt, ihre Produkte großflächig auf Plakaten und im Kino anzupreisen. Dabei hat sich der Bundestag schon vor 15 Jahren gegenüber der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verpflichtet, bis spätestens 2010 ein „umfassendes Verbot aller Formen von Tabakwerbung“ zu erlassen.
nde Juni sprach sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für ein Tabakwerbeverbot aus – und erklärte, ihre Fraktion werde bis spätestens Ende des Jahres eine Haltung zum Thema finden. Wie es aus Unionskreisen heißt, soll in nächster Zeit tatsächlich ein Entwurf für Werbebeschränkungen vorgestellt werden. Neben Gesundheitspolitikern drängt nun offenbar auch Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) auf den Bann. Brinkhaus‘ Vorgänger Volker Kauder hatte noch mit all seiner Macht ein Werbeverbot blockiert.
Gegen Werbebeschränkungen kämpfen vor allem der CDU-Wirtschaftsflügel sowie mächtige CDU-Kommunalpolitiker. Letztere fürchten, dass sie künftig keine Bushaltestellen mehr von der Tabak- und Werbeindustrie gesponsert bekommen.
Sponsorengeld für Veranstaltungen politischer Parteien
Bisher zeichnet sich in den Verhandlungen ein Außenwerbeverbot für Tabakzigaretten ab – nicht aber für E-Zigaretten. Zu groß ist der Widerstand der Wirtschafts- und Kommunalpolitiker. Einige CSU-Politiker machen sich auch dafür stark, dass Hersteller wie Philip Morris („Marlboro“) weiterhin Tabakerhitzer wie „iqos“ großflächig bewerben dürfen. Philip Morris hat seine Deutschland-Zentrale in Gräfelfing bei München – und unterstützte jahrelang Veranstaltungen politischer Parteien mit Sponsorengeld.
Die Industrie behauptet, sie richte sich mit ihrer Werbung für E-Zigaretten und Tabakerhitzer ausschließlich an erwachsene Zigarettenraucher – um diese über die neuartigen, weniger schädlichen Produkte zu informieren.
Suchtforscher Kotz entgegnet: „De facto richtet sich die Werbung auch an Jugendliche und junge Menschen.“ So sponsern E-Zigarettenhersteller Musikfestivals und fahren Kampagnen in sozialen Netzwerken. Zuletzt hatte der Konzern Imperial die große Halle des Hamburger Hauptbahnhofs mit überlebensgroßen Bannern seiner E-Zigaretten-Marke „myblu“ vollgehängt.
Schwere Lungenprobleme nach dem Konsum von E-Zigaretten
In Deutschland sind E-Zigaretten unter Jugendlichen bislang deutlich weniger verbreitet als etwa an US-Highschools, wo Millionen junge Menschen nikotinsüchtig geworden sind.
„E-Zigaretten können ein Weg sein, um Tabaksüchtigen den Ausstieg zu erleichtern. Aber die Werbung darf nicht junge Menschen zum Einstieg verlocken“, sagt Kotz, der Anfang Oktober über das Thema im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft spricht. „So wichtig Aufklärung ist: Sie sollte nicht von der E-Zigarettenindustrie kommen, sondern von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.“
Viele Dampfer sind gerade verunsichert. In den USA haben mehrere Hundert „Vaper“ nach dem Konsum von E-Zigaretten schwere Lungenprobleme entwickelt; sechs von ihnen sind an der mysteriösen Erkrankung gestorben. Noch ist die Ursache nicht bekannt, verantwortlich könnte aber ein Zusatzstoff namens Vitamin-E-Acetat sein. Dieser sei in Europa in herkömmlichen Liquids nicht enthalten, erklärt Suchtexperte Kotz. „Ich rate davon ab, die Geräte mit irgendwelchem Zeug zu befüllen, das man im Internet kriegt. Man setzt sich auch nicht mit einem Föhn in die Badewanne.“
Bei sachgemäßem Gebrauch seien elektronische Zigaretten aber lange nicht so schädlich wie Tabakzigaretten.
Original Artikel: https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/e-zigaretten-dampfer-und-raucher-befuerworten-werbeverbot-a-1286503.html