Sogar die Corona-Pandemie soll der Tabakwirtschaft noch einen weiteren Aufschub bringen
Am Mittwoch, den 20. Mai, trat das Verbot des Verkaufs von Menthol-Zigaretten in Deutschland in Kraft. Das Verbot hat den Zweck, Jugendliche vom Rauchen abzuhalten und die Zahl der Raucher zu verringern. Als mildes Anästhetikum betäubt es den Rachen und die Atemwege, so dass gerade für Jugendliche das Rauchen mit Menthol noch gefährlicher wird, weil es den Einstieg erleichtert. Das Verbot zählt zu den wichtigen Maßnahmen des Staats, gegen die Tabak-Pandemie vorzugehen. In Deutschland sterben jährlich 120.000 Menschen an den Folgen des Rauchens.
Wegen dieser besonderen Gefahren hat bereits im Jahr 2014 das Europäische Parlament trotz heftigen Widerstand der Tabakindustrie das Verbot von Menthol-Zigaretten beschlossen. Die EU-Tabakproduktrichtlinie wurde 2016 von Deutschland mit einer Übergangsfrist von vier Jahren in allen Staaten der Europäischen Union übernommen.
Umgehung des Verbots von Menthol-Zigaretten
Jetzt will sich die Tabakindustrie wieder nicht damit abfinden. Der Tabakkonzern Reemtsma, eine Tochter von Imperial Brands, bringt Menthol getränkte Rizla-Karten auf den Markt und propagiert: Man stecke eine Karte in die Zigarettenpackung und nach einer Stunde haben die Zigaretten das Menthol-Aroma angenommen.
Zusätzlich empfahl Imperial Brands in England Tabakverkäufern:
Damit Rizla Flavor Infusions nicht vor den Augen der Käufer verborgen bleiben müssen, empfiehlt Imperial Brands, sie an der Kasse oder auf einem offenen Portal zu lagern. Dies wird nicht nur die Aufmerksamkeit der Käufer auf das neue Sortiment lenken, sondern auch dazu beitragen, Gespräche mit ihnen über das bevorstehende Menthol-Verbot anzuregen, um das Bewusstsein für die bevorstehenden Änderungen zu schärfen und den Einzelhändlern bei der Vorbereitung ihres Sortiments zu helfen.
Offenbar will sich Reemtsma darauf berufen, dass die „Aroma Cards“ ein separates Produkt seien, so dass sie als „Zubehör“ nicht unter das Verbot von Menthol-Zigaretten fallen. Der Schutz der Gesundheit junger Menschen muss Vorrang vor den Profitinteressen eines Tabakkonzerns haben. Wenn die Rizla-Karten verkauft werden, um Menthol-Zigaretten zu ersetzen, wird der Staat von Reemtsma an der Nase herumgeführt.
Reaktion der Bundesregierung
Das Forum Rauchfrei hat daher Julia Klöckner, zuständige Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, aufgefordert, den Machenschaften von Reemtsma ein Ende zu setzen, notfalls mit einer Initiative für eine umgehende Änderung bzw. Ergänzung des Gesetzes.
Eine Referentin des Bundesministeriums antwortete dem Forum Rauchfrei am 20. Mai: Das Gesetz verbiete zwar Menthol-Zigaretten, „nicht jedoch Produkte zur nachträglichen Aromatisierung von Tabakerzeugnissen“. Bedauerlicherweise ging die Referentin nicht auf die Unverfrorenheit des Tabakkonzerns ein, das Gesetz einfach zu umgehen. Da reicht es nicht, dass das Bundesministerium „die weitere Entwicklung, insbesondere auf europäischer Ebene, aufmerksam verfolgen“ wird.
Dagegen berichtet Der Spiegel online: Die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig (CSU) habe wegen dieser Produkte das zuständige Bundeslandwirtschaftsministerium alarmiert. „Verbote gelten hier für alle – da kann sich die Tabakindustrie nicht einfach rausnehmen.“ Das Gebaren der Branche, so sagt sie völlig zu Recht, sei „ein schamloser Versuch“, geltende EU-Regeln zu umgehen.
Corona und das Menthol-Verbot
Ebenfalls an Dreistigkeit kaum zu überbieten war zuletzt die Initiative der Tabakwirtschaft, das Verbotsgesetz wegen Corona auf Eis zu legen. Die Tabakwirtschaft versuchte quasi in letzter Minute noch einen Aufschub des Verbots zu erreichen und fragte im zuständigen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft an, ob es wegen der Corona bedingten Schließungen von Tabakgeschäften eine Fristverlängerung für das Verkaufsverbot von Menthol-Zigaretten geben könnte.
Das Bundesministerium hat dem eine Abfuhr erteilt. Das Anliegen habe „keine realistischen Erfolgsaussichten“, zumal das Tabakgesetz in Deutschland eine Tabakproduktrichtlinie der EU ausführe. Die Europäische Kommission habe bereits deutlich gemacht, dass sie keine Möglichkeit für eine weitere Fristverlängerung sehe. Dies gelte angesichts der Corona-Pandemie umso mehr.
Die Tabakindustrie bäumt sich erfolglos auf und zeigt ihre maßlose Unverfrorenheit, wenn sie nochmals eine Fristverlängerung fordere. Erneut wird deutlich, dass Tabakkonzerne sich in Deutschland über Ethik und Moral, ja sogar über das Gesetz stellt.
Weitere Entwicklung
Im „Kaufhaus des Westens“ wurden am 20. Mai mentholgetränkte Rizla-Karten verkauft. Wie mit den Karten umzugehen sei wurde von einer Verkäuferin erklärt.
Bei dem Supermarkt von EDEKA bekam man am Stichtag des Verbots, 20. Mai, noch gesetzeswidrig Marlboro Menthol.
Es bleibt abzuwarten, ob der Staat diese Machenschaften weiter dulden wird.
Johannes Spatz
Sprecher des Forum Rauchfrei